Luhmann in der Psychiatrie

Ich bin ein System. Luhmann sagt, ich bin ein selbstreferentielles System. Wie jedes System wehre ich mich gegen Veränderung. Therapie basiert auf Veränderung. In den Präambeln heißt es, „Patientinnen wollen sich verändern. Patientinnen müssen neues Verhalten in allen relevanten Lebensbereichen erlernen.“

Selbstreferentielle Systeme interessieren sich nur für Fakten und Optionen, die seiner Existenz und Erhaltung dienen. Im Mittelpunkt stehen interne systemerhaltende Prozesse.

Man sei ein Haus, wurde mir gesagt, das eingerissen und neu errichtet werden muss. Ich bin kein Abrisshaus. Ich bin renovierungsbedürftig, aber erhaltenswert. Das Fundament ist instabil.

Selbstreferentielle Systeme können sich von der Umwelt abgrenzen, die ihnen Möglichkeiten bietet. Das System entscheidet, welche dieser Möglichkeiten angenommen und verarbeitet werden. Es werden nur die Teile wahrgenommen, die der Erhaltung des Systems dienen. Anderes interessiert das System nicht.

Ich versuche durchzusetzen, dass wir keine Persönlichkeitsstörung haben. Sondern eine herausforderungsvolle Persönlichkeitsstruktur. Mit der man lernen kann umzugehen. Intensiv leben und empfinden zu können ist eine Bereicherung. Eine anstrengende. Zugegeben.

Der gleiche Input in verschiedene Systeme oder im gleichen System zu verschiedenen Zeitpunkten kann unterschiedlichen Output hervorbringen. Der Output eines lebendigen Systems ist nie vorhersagbar.

Mein System läuft manchmal heiß. Manchmal stürzt es ab. Manchmal bringt es andere Systeme zum Absturz. Ich bin hier um mich zu verändern. Mein System wehrt sich. Es wehrt sich gegen Achtsamkeitstraining, Gruppentherapien, Verhaltensanalysen. Es wehrt sich gegen Gefühlsprotokolle, Stresstoleranzskills und Selbsthilfegruppen. Es wehrt sich dagegen hier zu sein.

Sinn ist das Kriterium für die Auswahl von Möglichkeiten und deren Adaption. Sinn reduziert die Komplexität der Welt und eröffnet neue Möglichkeiten.

Ich finde keinen Sinn hier. Und ohne Sinn keine Veränderung. Und ohne Veränderung keinen Sinn.

9 Gedanken zu “Luhmann in der Psychiatrie

  1. Der Sinn liegt doch auf der Hand. Systemabstürze zu vermeiden. Dafür muss das Sytem allerdings in einigen Basisroutinen reprogrammiert werden. Hinterher wird es nicht mehr genau dasselbe sein – wenn es gut läuft. Vielleicht sind dann in ein paar Bereichen veränderte Verarbeitungsmuster installiert, die die Bandbreite der Betriebsmodi etwas begrenzen. So dass das System weniger oft heiß läuft und abstürzt – oder andere zum Absturz bringt. Letztlich ist das im Interesse des Systems, denn es dient seiner Selbsterhaltung. Deshalb ist es ja da wo es ist.

    Like

  2. Obwohl ich Niklad Luhmann nicht kenne, bin ich absolut gegen Abriss.
    Warum auch.
    Jedoch finde ich die Frage nach dem Sinn zur Zeit sinnlos. Daran würde ich sofort scheitern.

    Like

    1. Daher lese ich als Gegenmittel auch gerade Camus, der das Absurde zur Geisteshaltung erklärt. Kann ich nur empfehlen.

      Like

Hinterlasse einen Kommentar