Donnerstagabends ist Akupunktur. Es werden die Suchtpunkte am Ohr punktiert. Vierzig Minuten im Sitzen bei Entspannungsmusik. Sie haben genau drei CDs. Und der entspannendste Effekt dieser Musik liegt darin, dass sie wieder abgeschaltet wird. Manchmal bin ich versucht die Anlage aus dem Fenster zu werfen. Was natürlich nicht geht. Die Fenster lassen sich nicht weit genug öffnen. Man könnte schließlich auch auf die Idee kommen, dem Abspielgerät hinterherzuspringen. Was mir nach vierzigminütiger Zwangsbeschallung nicht als die schlechteste Alternative erscheint.
Man kann sich von der Akupunktur befreien lassen. Zum Beispiel wenn man heroinabhängig war. Der Umgang mit Nadeln ist dann nicht so empfehlenswert. Trigger. Nach kurzer Abwägung entschied ich mich dagegen meine Biographie diesbezüglich anzupassen. Auf die Nadeln darf man auch so verzichten. Anwesenheitspflicht besteht trotzdem. Ich versuche es positiv zu sehen und nutze die wöchentlichen vierzig Minuten zum Lesen. Was natürlich ebenfalls verboten ist. Als ich das Buch einmal in Anwesenheit der Pflegerin rausholte, wurde ich umgehend zurechtgewiesen. Wir wussten beide, dass ich es sofort wieder aufschlagen würde, sobald sie den Raum verlässt. Aber ich sehe es als stille Übereinkunft: Ich tue so als würde ich ihre Regeln befolgen. Und sie tut so, als würde sie nicht merken, dass ich es nicht tue. Laissez-faire à la Psychiatrie.
Diesen Donnerstag wollte ich nicht hingehen. Ich war auf Krawall gebürstet. Mir dürstete nach Aufmerksamkeit. Konfrontative Auseinandersetzung ist auch eine Form der Zuwendung. Meine ehemaligen Partner wissen, was ich meine. Ich blieb der Akupunktur also fern. Und freute mich schon auf das Klopfen an der Tür und den bereits bekannten Dialog: „Frau Nuthouse, wir haben Sie bei der Akupunktur (wahlweise Kreativgruppe, Bewegungstherapie, äußere Achtsamkeit…) vermisst.“ – „Wenn ich gewusst hätte, dass ich Ihnen fehlen würde, wäre ich natürlich gekommen.“ Aber diesmal kam niemand um mich zu holen. Wie bedauerlich.
Stattdessen sollte ich am Samstagmorgen kurzfristig mit der Entzugsgruppe an der Akupunktur teilnehmen. Mein Hinweis, dass mir das jetzt so gar nicht in den Zeitplan passen würde, bewirkte nichts. Außer Missstimmung. Da die Akupunktur der Suchtis nur fünfundzwanzig Minuten geht, sollte ich zudem sitzen bleiben bis die mir verordneten vierzig Minuten um sind.
Natürlich. Ich nehme zwar keine Nadeln. Aber ich bleibe gern noch weitere fünfzehn Minuten alleine im Raum sitzen und starre die Wand an, sagte ich. Und das meinte ich tatsächlich ernst. Regeln sind Regeln und ihre Ausführung wichtiger als deren Sinnhaftigkeit. Das habe ich hier gelernt. Ich rede mir beruhigend ein, dass es keine Anzeichen von Anpassung sind, sondern die radikale Akzeptanz und der Gleichmut absurde Dinge einfach hinzunehmen.
Auf dem Weg zum Nadelraum hält mich die Pflegerin dann doch zurück. Sie hätte nochmal nachgedacht. Wenn ich die Akupunktur ohnehin nicht mitmache, könne ich auch mit den anderen gehen. Das wäre sonst irgendwie Quatsch.
Genau! Quatsch. Ich bin überrascht und versuche mich in verhaltenen Glückwünschen: „Schön, dass Sie das so sehen.“
Sie schielt auf meine Handtasche. „Aber Frau Nuthouse?“
„Ja?“
„Versuchen Sie bitte nicht zu lesen.“
„Ja. Versuchen werde ich es.“